Titel: Wohnen an der Stadtmauer
Ort: Neuss
Auftraggeber: Initiativprojekt
Status: Entwurf
Jahr: 2014
Aktiv an der Gestaltung der Stadt Neuss teilzunehmen bedeutet einen wesentlichen inhaltlichen Schwerpunkt der Tätigkeit von Ingenhoven & Ingenhoven Architekten. Neben den bereits realisierten und sich in Arbeit befindenden Neusser Bauten werden von Zeit zur Zeit auch Projektentwicklungen auf Eigeninitiative betrieben. Prominentestes Beispiel hierfür ist sicherlich der in den Jahren 1998-2000 verwirklichte Umbau Horten Warenhaus Neuss zum Rheinischen Landestheater, Kreisverwaltung und Arthouse Kino Hitch. Weitere Initiativentwürfe, wie beispielsweise das VHS/MS Romaneum Neuss aus dem Jahr 2008 und die Volksbank Neuss aus dem Jahr 2013, folgten. Das im Jahr 2014 entstandene Konzept Wohnen an der Stadtmauer Neuss wird im Rahmen dieser Internetpräsentation erstmalig vorgestellt.
Es wurde viel geschrieben und noch mehr diskutiert über eine der letzten sichtbaren, mit Sicherheit aber der augenfälligsten Kriegswunde mitten im Herzen der Stadt Neuss. Unzählige Bemühungen, darunter ein im Jahr 1994 von der Stadtverwaltung gemeinsam mit der Neusser Bauverein AG initiierter und prominent besetzter Architektenwettbewerb, aber auch die bemerkenswerte Initiative des Forum Stadtentwicklung der neuss agenda 21 in Kooperation mit der Peter Behrens Fachhochschule für Architektur in Düsseldorf aus dem Jahr 2009, führten bis heute zu keinem konkreten baulichen Ergebnis für das weiterhin als öffentlicher Parkplatz genutzte und zwischen den zwei historischen Stadtmauern der spätmittelalterlichen Neusser Stadtbegrenzung liegende, ehemals bebaute Grundstück.
Sämtliche vorangegangene Aktivitäten das historisch und denkmalpflegerisch äußerst sensible zu behandelnde Areal einer städtebaulich wie architektonisch gleichsam überzeugenden Lösung zuzuführen, hatten eines gemeinsam: Die bauhistorisch nachgewiesene stadtseitige Eck-Bebauung an das unter Denkmalschutz stehende Cremer Tosetti Haus mit seinem rückseitigen Anbau (Buderath Wand) wurde weit über dessen Baugrenzen hinweg überplant, um zu gesamtgestalterischen Konzepten auf der gesamten Parkplatzlänge, und zwar von der Neustraße bis zum Hamtorplatz, zu gelangen. Auf Grund diverser, nicht umkehrbarer Realitäten blieb dieser weiträumige Ansatz jedoch wenig zielführend und letztlich nicht durchsetzbar. Daher konzentriert sich unser Beitrag auf eine realisierungsfähige Eck-Bebauung.
Der Entwurf besteht, wie das Cremer Tosetti Ensemble, aus einem Vorderhaus und einem Anbau. Hierbei folgt der Neubau in seinen Abmessungen exakt den Proportionen des Nachbarn, so dass sich im Grundriss eine gleichtiefe, aber zur Stadtseite zurückgesetzte Eck-Bebauung ergibt. Durch das bauhistorisch begründete, unmittelbare Anbauen an die heutige freistehende Brandwand des Cremer Tosetti Vorderhauses kann einerseits der notwendige Freiraum entlang und vor der Bushaltestelle Hamtorwall gesichert und andererseits die städtebaulich längst überfällige klare Platzkante zur Seite des Kulturforums Alte Post ausgebildet werden. Der heute über die Neustraße anzufahrende Parkplatz wird zu zwei Drittel erhalten und vom Hamtorplatz über die ehemalige Zufahrt am Hamtorwall erschlossen.
Das gesamte überbaute Grundstück wird nicht unterkellert. Durch diese Entscheidung entzieht sich der Entwurf dem möglichen Konfliktpotential mit der Denkmalpflege, hervorgerufen insbesondere durch die nicht sichtbare, entlang des Hamtorwalls unterirdisch verlaufende, äußere Stadtmauer. Der notwendige Stellplatzbedarf für das Projekt wird auf eigenem Grundstück über eine ebenerdige und von der Neustraße zu erreichende Garage im rückwertigen Hinterhaus des Anbaus nachgewiesen. Der Anbau gliedert sich in einen unmittelbar an das Vorderhaus anschließenden, zurückversetzten Mittelbau und ein mit der Buderath Wand höhengleich abschließendes Hinterhaus. Hierdurch wird ein Innenhof gebildet, der einerseits die innere Stadtmauer freistellt und andererseits für notwendige Belichtung sorgt.
Das Vorderhaus interpretiert die historische Dreigliederung der Cremer Tosetti Fassade neu und übersetzt diese zeitgemäß. Ein auf ganzer Gebäudehöhe und Gebäudetiefe durchlaufender, verglaster Einschnitt gliedert das Gebäude vertikal in drei Segmente. Im Erdgeschoss befindet sich hier von der Neustraße her kommend zunächst die Hofdurchfahrt, dahinter der Zugang zu dem -vier Wohnungen in den Obergeschossen erschließenden- Treppenhaus des Vorderhauses und schließlich über den Innenhof hinweg die Garage mit darüber angeordneter Wohneinheit im Hinterhaus. Das an die Traufe, des straßenbegleitend ausgerichteten Dachs des Cremer Tosetti Hauses höhengleich anschließende asymetrisch gestaltete Satteldach des Neubaus dreht seinen First in Richtung des Platzes vor der Alten Post.
Die mit dieser 90° Dachdrehung einhergehende, bewusst herbeigeführte Gebäudeerhöhung markiert nunmehr eindeutig den historisch belegten Endpunkt der vormaligen Zeilenbebauung in der Ecklage Neustraße / Hamtorwall. Gleichzeitig verschmelzen das Cremer Tosetti Haus und der Neubau zu einer dualistisch wahrnehmbaren und dennoch ihre jeweilige Eigenständigkeit bewahrenden Einheit. Der zweigeschossige, diagonale Einschnitt über Eck im Zusammenspiel mit der parallel zum Hamtorwall verlaufenden, leicht geneigten Fassade verleiht dem Entwurf seinen skulptural- futuristischen Charakter. Die gewählte Materialsprache einer die Gebäudekubatur vollständig umkleidenden einheitlichen Leichtmetallhaut mit vertikaler Profilierung in gold-rot changierender Oberfläche unterstützt diesen Gedanken.
Das als Einspänner konzipierte Vorderhaus bietet je Etage eine exklusive, sämtlichen gehobenen Ansprüchen genügenden, barrierefreien und 100 Quadratmeter große Dreizimmerwohnung. Die als Durchwohnen konzipierten Grundrisse öffnen sich der Gebäudegeometrie folgend mit einer geschosshohen Glasfassade nach Südosten in Blickrichtung Alte Post und mit einer 10 Quadratmeter großen überdachten Loggia nach Nordwesten zum üppigen Grüngürtel des Erftmühlengrabens. Eine über Eck erschlossene und 100 Quadratmeter große Gewerbeeinheit schirmt den Innenhof von der Bustrasse Hamtorwall ab. Die über den Innenhof zu erreichende, individuelle 130 Quadratmeter große Wohneinheit über der Parkgarage orientiert sich zu einem zum Erftmühlengraben gelegenen umschlossenen Innenhof.
Wohnen an der Stadtmauer Neuss