Nach den Ergebnissen der jüngsten Umfrage des ifo-Instituts bei freischaffenden Architekten ist das Geschäftsklima zu Beginn des II. Quartals 2013 so gut wie zuletzt Anfang der 90er Jahre. Der WIRTSCHAFTSSPIEGEL sprach in diesem Zusammenhang mit dem Neusser Architekten Oliver Ingenhoven über die Arbeitsbedingungen in seiner Branche.

WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Die Medien überschlagen sich zurzeit mit Berichten über die steigende Nachfrage nach Immobilien und explodierende Mietpreise. Gute Zeiten für Architekten? INGENHOVEN: Ich bin kein Mensch, der sich viel mit Meinungsumfragen, Statistiken und Zahlen beschäftigt. Ich kann daher nur für mich sprechen. Ehrlich: Die konjunkturelle Entwicklung ist in unserem Büro seit Jahren gleich gut bzw. gleich schlecht. Ich habe bemerkt, dass wir von Bauherren bzw. Investoren in den seltensten Fällen mit einem Projekt konfrontiert werden, bei dem es heißt, dass wir ein Grundstück bebauen sollen. Bei uns funktioniert eine Projektentwicklung völlig anders, das heißt häufig sind wir selbst die Initiatoren für neue Projekte. Viele dieser - letztendlich auch realisierten - Projekte entsprangen einer Eigeninitiative.

WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Zum Beispiel der Umbau des ehemaligen "Horten"-Kaufhauses in Neuss? INGENHOVEN: Aus dem ehemaligen Kaufhaus haben wir seinerzeit das neue Gebäude der Kreisverwaltung und das neue Rheinische Landestheater Neuss entwickelt. Zu unseren Stärken gehört es, zu erkennen, wo es ein städtebauliches Entwicklungspotenzial bzw. wo es einen Bedarf gibt. Im Gegensatz zu anderen Büros treten wir allerdings nicht als Projektentwickler oder Bauherr auf.

WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Warum engagieren sich viele Architekturbüros zurzeit auch als Bauherren und Investoren? INGENHOVEN: Viele Architekten müssen erkennen, dass sie mit der bloßen Planungstätigkeit nicht mehr genug Geld verdienen können. Häufig stellen sie sich die Frage, warum sie ein Projekt nicht selbst realisieren. Ich persönlich fühle mich der alten Architekturschule verbunden, das heißt der Architekt macht die Gestaltung, er plant ein Projekt und er setzt es in einer Realisierungsphase für den Bauherren um. Ich glaube daran, dass man seinen Beruf nur dann gut machen kann, wenn man sich auf das beschränkt, was man auch gut kann bzw. für sich selbst als eigenes Potenzial erkannt hat.

Nachhaltigkeit und Qualität… WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Hat sich das Verhältnis zwischen Architekten, Bauherren und Investoren in den letzten Jahren verändert? INGENHOVEN: Mein Vater Robert Ingenhoven, der mein heutiges Architekturbüro 1971 gegründet hat, war ein engagierter und selbstbewusster Architekt. Schon zu seinen Lebzeiten habe ich erfahren, was meines Erachtens noch heute gültig ist: Der klassische Bauherr, der auch Eigennutzer seiner Immobilie ist, ist der Bauherr, der einem Architekten am liebsten ist. Im Zweifelsfall entscheidet sich dieser Bauherr immer für Nachhaltigkeit und für Qualität. Uns Gestaltern kommt diese Einstellung entgegen. Heute ist es allerdings häufig so, dass Gebäude wie Tomaten gehandelt werden. Ein Investor, der ein Gebäude nur baut, um es anschließend wieder zu veräußern, ist bemüht, einen maximalen Gewinn zu erzielen. Um diesen Gewinn zu erzielen, muss der Investor eine Immobilie planen, die im Zweifel ausschließlich von den Aspekten Flächenmaximierung und Kostenminimierung geleitet wird.

WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Bei vielen Bauprojekten zeigt sich, dass das Arbeitsverhältnis zwischen Architekt und Bauherr manche Bewährungsprobe überstehen muss. INGENHOVEN: Gute Architektur kann nur dann entstehen, wenn eine Symbiose zwischen Bauherr und Architekt entsteht. Nur bei einer guten und von gegenseitigem Respekt getragenen Zusammenarbeit kann etwas Gutes entstehen. Wir setzen uns heute allerdings verstärkt damit auseinander, dass wir es mit gewinnoptimierten Immobilien zu tun haben. Wir müssen deshalb darauf achten, dass trotzdem eine Qualität entsteht, die für den jeweiligen Ort angemessen ist. Meistens ist ein Investor für konstruktive Vorschläge, die seinem Ziel der Marktgängigkeit näher kommen, offen. Was nützt ihm letztendlich eine abgespeckte Immobilie, die er nicht oder nur schwer veräußern kann.

Architekten dürfen nicht ins Blaue planen… WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Als Architekt brauchen Sie wahrscheinlich viel Einfühlungsvermögen, Überredungskünste und - last but not least - betriebswirtschaftliches Know-how. INGENHOVEN: Ja, denn auch bei einem gewinnorientierten Investor ist durchaus Verständnis dafür vorhanden, mit Hilfe eines Architekturbüros eine gewisse Qualität entstehen zu lassen. Als engagierter und auf Nachhaltigkeit bedachter Architekt muss ich versuchen, Potenziale auszuschöpfen. Nur so kann letztendlich eine qualitätsvolle Immobilie entstehen. Um an dieser Stelle allerdings nicht missverstanden zu werden: Natürlich können wir Architekten nicht ins Blaue planen, das heißt wir werden immer bestrebt sein, dafür zu sorgen, dass der Bauherr seinen wirtschaftlichen Erfolg hat. Unabhängig von der Frage, ob er Eigennutzer ist oder nicht. Architekten sind nicht so blauäugig und glauben daran, dass sie einzig und allein dafür da sind, ihre Vorstellungen von Architektur durchsetzen zu können.

WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Inwieweit müssen sich Architekten heute im Laufe der Projektentwicklung von ihren ursprünglichen Plänen verabschieden? INGENHOVEN: Wir dürfen nicht vergessen, dass wir - unabhängig von unserer gesellschaftlichen Verantwortung - letztendlich Dienstleister sind. Deshalb müssen wir besonders am Anfang einer Zusammenarbeit ausloten, welche Wünsche der Bauherr hat. Im Rahmen dieses Findungsprozesses kann es durchaus vorkommen, dass der Architekt konträre Vorstellungen darüber entwickelt, wie die Ausstattung oder die Fassadenqualität einer Immobilie sein sollte. Das liegt in der Natur der Sache. Es ist die Aufgabe des Architekten, dass er dem Bauherrn so weit folgt, damit er mit seiner Immobilie glücklich werden kann. Ein Architekt kann schließlich nicht im luftleeren Raum des Selbstzwecks ein Gebäude errichten. Im Umkehrschluss bedeutet dies nicht, dass der Architekt alles mitmachen muss, was der Bauherr sich wünscht.

Grenzen nicht überschreiten… WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Ihre eigene Handschrift müssen Sie noch wiedererkennen können, oder? INGENHOVEN: Das ist richtig. Außerdem muss der Architekt die Aufgabe, die ihm gestellt worden ist, wiedererkennen können. Daher gibt es fachliche und qualitative Grenzen, die ein Architekt nicht überschreiten sollte.

WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Ambitionierte, extravagante und kostspielige Leuchtturm-Projekte mehren den Ruf eines Architekten. Wie schnell ist umgekehrt der Ruf eines Architekten beschädigt? INGENHOVEN: Das weiß ich nicht, denn zum Glück habe ich diesen Fall am eigenen Leib noch nicht erfahren. Wichtig ist, dass man zu seinen Vorstellungen steht. Dazu gehört, dass man seine eigenen Grenzen für sich selbst formuliert hat und diese später auch nicht überschreitet.

WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Können Sie dafür ein Beispiel nennen? INGENHOVEN: Ein Bauherr, der einen Architekten als Bauantragssteller missbraucht, damit er anschließend seine eigenen Vorstellungen verwirklichen kann, ist meine Sache nicht. Solche Aufträge würde ich immer ablehnen.

WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Wie wichtig ist für Sie der Mut, sich einen Irrtum einzugestehen? INGENHOVEN: Das ist ganz wichtig für mich. Als Architekt darf ich nicht selbstverliebt in meine eigenen Projekte sein! Es ist wichtig, einen Input von außen zu bekommen. Aus Gesprächen können sich letztendlich Dinge entwickeln, die ein guter Architekt registrieren und gegebenenfalls auch in seine Überlegungen einarbeiten sollte. Gerade bei Bauprojekten, die sich über mehrere Jahre hinziehen, kann es durchaus vorkommen, dass Veränderungen notwendig sein können.

Wir brauchen Menschen mit Visionen… WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Stichwort Visionen. INGENHOVEN: Keine Visionen zu haben, bedeutet Stillstand! Und Stillstand ist das letzte, was unsere Städte brauchen können. Wir brauchen Menschen mit Visionen. Nur wenn wir etwas Neues schaffen, können wir zeitgemäß Dinge bewegen und nach vorne bringen.

WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Hier in Neuss gibt es seit Jahren die Idee, die Innenstadt näher an das Wasser, respektive näher an das Hafen- und Industriegebiet heranzubringen. Mit dem von Ihnen entworfenen Kopfgebäude, das Ende dieses Jahres fertig gestellt werden soll, kommt man dieser Vorstellung einen großen Schritt näher, oder? INGENHOVEN: Als in Neuss lebender Architekt begrüße ich die Entwicklung, die Innenstadt in Richtung Hafen zu öffnen. Die Idee des Kopfgebäudes entstand, als über eine großzügige Öffnung an zentraler Stelle der Innenstadt nachgedacht wurde. Ich habe nach wie vor die große Hoffnung, dass nach der bevorstehenden Fertigstellung des Kopfgebäudes auch die Erschließung zur Innenstadt gelingen wird.

Industriekultur mit moderner Architektur in Einklang bringen… WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Vis-a-vis des Hafengebiets standen Sie seinerzeit vor der spannenden Herausforderung, alte und historische Industriekultur mit moderner Architektur in Einklang zu bringen. INGENHOVEN: Die spannende Herausforderung bestand darin, an einem weitgehend einmaligen Prozess in Deutschland teilzunehmen. In Neuss wird eine Hafenentwicklung betrieben, die ein gutes Miteinander von bestehender Industrie und neuer städtebaulicher Entwicklung vorsieht. Wir haben hier am Hafenbecken I die Situation, dass wir einerseits eine funktionierende Industrie vorfinden und andererseits die Öffnung der Innenstadt in Richtung Wasser forciert wird. Dieses Spannungsverhältnis zu erhalten, ist für mich ein zentraler Aspekt unserer Wettbewerbspräsentation gewesen.

WIRTSCHAFTSSPIEGEL: In anderen Städten hatte die Politik weniger Skrupel. Sie hat traditionsreiche Industriebetriebe und deren Arbeitsplätze einer freizeitorientierten Entwicklung von Hafengebieten geopfert. INGENHOVEN: Der Verdrängungsprozess, den wir in vielen anderen Städten - zum Beispiel in Düsseldorf und Hamburg - beobachten können, hat zu einer Aneinanderreihung von moderner Architektur geführt. In der Hafen-City Hamburg ist der Hafen schon heute kaum noch zu sehen. Diese Entwicklung finde ich sehr schade. Deswegen ist es für mich ein großer Anreiz, dass Neuss einen anderen Weg einschlägt. Ich persönlich begrüße es sehr, dass wir auf der gegenüberliegenden Seite der Hafenpromenade eine voll funktionierende Industrie haben. Wir dürfen nicht vergessen, dass die dort angesiedelten Unternehmen ein sehr wichtiger Wirtschaftsfaktor für unsere Stadt sind.

Konfliktpotenzial droht… WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Prominente Repräsentanten der Hafenindustrie sehen die städtebauliche Entwicklung in Richtung Hafenbecken I durchaus mit Sorge. Die langfristige Sicherung des Hafens als Industriegebiet ist für sie ein entscheidendes Kriterium für eine Standortplanung im Neusser Hafen. INGENHOVEN: Sie haben mich vorhin danach gefragt, wie wichtig es für mich ist, einen Irrtum einzugestehen. An diesem Punkt habe ich tatsächlich meine Meinung korrigiert. Ursprünglich habe ich favorisiert, dass auf dem Areal der ehemaligen Münsterschule, also in unmittelbarer Nähe zum Hafen, ein modernes Wohnquartier entstehen kann. Zum damaligen Zeitpunkt war ich allerdings unwissend, dass es bei der Schaffung von hafennahem Wohnraum mit Blick auf die Hafenemissionen zu Konflikten kommen kann.

WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Die industriellen Hafenanrainer sperren sich nicht grundsätzlich gegen bauliche Veränderungen vor ihrer Haustür. INGENHOVEN: Ich habe den Eindruck, dass die Industrie keine Probleme mit der Entwicklung der Hafenpromenade, das heißt mit dem neuen Kopfgebäude und dem bereits bestehenden Multiplex-Kino, hat. Bei der möglichen Etablierung von Wohngebäuden sieht die Situation anders aus. Der Abstand zwischen den Industriebetrieben und den angedachten Wohnanlagen ist - insbesondere aus Emissionsgründen - zu gering. Insoweit sind für mich die Argumente der Industrie nachvollziehbar: Insbesondere auf dem Areal der ehemaligen Münsterschule wäre eine Wohnbebauung mit der heutigen Erkenntnis kontraproduktiv.

Gute Bauprojekte brauchen gute Argumente… WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Es wird spannend sein zu beobachten, wie man sich in Neuss in dieser Frage einigen wird. Kommen wir deshalb zum Thema Akzeptanz. Lassen sich viele Bauprojekte heutzutage nur noch schwer oder gar nicht realisieren, weil garantiert irgendwo irgendwer im Vorfeld dagegen protestiert? INGENHOVEN: Sie werden nicht von mir erwarten, dass ich mich zu Großprojekten, die zurzeit in der Kritik stehen, äußern werde. Ich möchte bei der Beantwortung Ihrer Frage deshalb gerne hier in der Region bleiben. Ich habe durchaus das Gefühl, dass hier wichtige Planungsvorhaben, zum Beispiel aktuell die Ansiedlung eines großen Möbelzentrums öffentlich und offen diskutiert werden. Grundsätzlich gilt: Wenn man ein gutes Projekt und gute Argumente hat, wird man in meinen Augen immer Befürworter finden.

WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Müssen Architekten, Bauherren und Stadtplaner nicht zunehmend Sorge vor dem wachsenden Einfluss von "egoistischen Besitzstandswahrern und überalterten Fortschrittsfeinden", neudeutsch: den Wutbürgern, haben? INGENHOVEN: Das glaube ich nicht. Aus meiner eigenen Berufserfahrung weiß ich, dass man sich mit einem guten und sinnvollen Projekt jeder Diskussion erfolgreich stellen kann. Sofern man mit vernünftigen Menschen spricht, wird man im Einzelfall auch Begeisterung auslösen können.

WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Die Entwicklung bei vielen Büroimmobilien wird weitgehend negiert. Dabei kann man sich doch durchaus kritische Gedanken darüber machen, warum ein Gewerbeobjekt bereits nach 10 Jahren ersetzt werden muss. Nachhaltigkeit sieht anders aus, oder? INGENHOVEN: Als Architekten haben wir die Aufgabe, die Bauherren dafür zu sensibilisieren, dass heute errichtete Immobilien nachhaltig ausgerichtet werden. Mir geht es an dieser Stelle nicht ausschließlich um das Thema Energie. Vielmehr glaube ich, dass wir Immobilien planen und bauen sollten, die für eventuelle Nachnutzungen ausgelegt sind. Nehmen Sie den zu Beginn unseres Gesprächs bereits erwähnten Umbau des alten "Horten"-Kaufhauses zu einem Verwaltungs- und Theatergebäude. Das ist für mich ein Beispiel für eine nachhaltige Umnutzung einer Immobilie, an die damals kein Mensch mehr geglaubt hat.

WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Wie aufgeschlossen sind Bauherren tatsächlich für das Thema Nachhaltigkeit? Insbesondere dann, wenn sie das Gebäude sofort verkaufen wollen bzw. nur eine ökonomische Nutzungsdauer von 10 Jahren vor Augen haben? INGENHOVEN: Das ist im Einzelfall schwer. Auch hier zeigt sich in der Praxis, dass Eigennutzer häufig viel aufgeschlossener sind. Gleichwohl müssen sich alle Bauherren heute bei der Errichtung von Gewerbeimmobilien darüber im Klaren sein, dass die Gebäude einer gewissen Form von Nachhaltigkeit standhalten sollten. Angesichts unserer schnelllebigen Zeit wissen wir letztendlich nicht, was in 10, 15 Jahren sein wird. Wir Architekten sind an dieser Stelle besonders gefordert und müssen über den sprichwörtlichen Tellerrand hinausschauen. Aber natürlich hat alles seine Grenzen. Wir können nicht alles der Flexibilität unterordnen und dafür in Kauf nehmen, dass ich ein schlechtes Gebäude für heutige Nutzer baue. Das geht natürlich nicht.

WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Ein Bauherr ist zufrieden, wenn er einen großen Anker-Mieter akquiriert und die übrige Fläche an andere Mietparteien vermietet hat. Salopp gefragt: Was schert er sich heute darum, wer vielleicht in 10 Jahren in sein Gebäude einziehen wird? INGENHOVEN: Das ist in der Tat ein Problem. Ein verantwortungsbewusster Architekt sollte sich auf jeden Fall nicht den Vorwurf gefallen lassen, nicht alles für die Nachhaltigkeit eines Bauprojekts getan zu haben. Deshalb muss er deutlich machen, welche Möglichkeiten sich zum Beispiel durch einen bewussten Einsatz von bestimmten Materialien bzw. mit einer entsprechend vorausschauend geplanten Struktur eines Gebäudes ergeben.

Umwidmung von Nichtwohngebäuden in Wohnimmobilien… WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Der Einfluss, den Architekten heute auf die Nachhaltigkeit von Gebäuden ausüben, wird sich erst in ein paar Jahrzehnten bemerkbar machen. Was passiert aber mit den Industriebrachen unseres Informationszeitalters, sprich: mit betagten Gebäudekomplexen, die unattraktiv geworden sind und leer stehen? Sollte man diese Nichtwohngebäude in Wohnimmobilien umwandeln? INGENHOVEN: Das ist eine sehr wichtige Frage, die uns in Zukunft verstärkt beschäftigen wird. Wir haben auf der einen Seite Büro- und Gewerbeimmobilien, von denen sich viele auch in guter bis sehr guter innerstädtischer Lage befinden. Für viele dieser Objekte gibt es keine Nachnutzung. Auf der anderen Seite gibt es den Bedarf nach mehr Wohnraum, insbesondere in den Innenstädten. Durch entsprechende Umwandlungen könnte man zu einer Entlastung des Wohnungsmarkts beitragen. Büroimmobilien eignen sich aufgrund ihrer Struktur und ihrer Statik relativ gut hierfür. Aus städtebaulicher Sicht würden im Übrigen besonders sensible Standorte funktionstüchtig bleiben und baukulturell wichtige Objekte erhalten werden.

WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Eine andere Option wär der Abriss von nicht mehr marktfähigen Büroimmobilien. Auch mit dieser Vorgehensweise könnte man dem zunehmenden strukturellen Leerstand entgegenwirken. INGENHOVEN: Natürlich lohnt es sich nicht, jede Immobilie umzubauen. Jedoch insbesondere die Büroimmobilien aus den 60er- und 70er-Jahren eignen sich normalerweise sehr gut hierfür. Darüber hinaus gilt in der Regel, dass eine Umbaumaßnahme in einem Genehmigungsverfahren die viel einfachere Variante ist. Ich würde deshalb auch nicht unterschätzen, dass Umbauten durchaus ihren Reiz für Investoren haben können.

WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Apropos Genehmigungsverfahren. Sind die Vorgaben und Vorschriften von Bauordnungen und Gestaltungssatzungen noch zeitgemäß? INGENHOVEN: Als Architekten werden wir nahezu wöchentlich mit neuen Bauvorschriften und Restriktionen konfrontiert. Viele Gestaltungssatzungen sind, sofern Ausnahmen möglich sind, grundsätzlich sinnvoll. Leider werden viele Gestaltungssatzungen zeitlich nicht angepasst. Sie befinden sich vielerorts nicht mehr im Einklang mit der gesellschaftlichen Entwicklung. Sie bedürfen deshalb einer ständigen Überarbeitung, damit sie Architekten und Bauherren eine zeitgemäße Umsetzung erlauben.

Herausforderung von neuen Kreativ- und Wohnquartieren… WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Gewinnt die Schaffung von neuen Kreativ- und Wohnquartieren, in denen man lebt und arbeitet, an Bedeutung? INGENHOVEN: Ich weiß, dass solche Quartiere insbesondere in Großstädten ein angesagtes Thema sind. Für Architekten ist das eine durchaus spannende Aufgabe. Vergessen Sie nicht, dass wir diesen Zustand, das heißt Arbeiten und Wohnen in einem Viertel, früher auch schon einmal hatten. Die Herausforderung besteht darin, Konzepte zu entwickeln, die von den Menschen als Erleichterung für ihre Arbeits- und Lebenssituation verstanden werden.

WIRTSCHAFTSSPIEGEL: Wie groß ist das Risiko, dass angesichts der großstädtischen Wohnungsnot wieder vermehrt billige Betonbauten, wie wir sie aus den 70er-Jahren kennen, gebaut werden? Frei nach dem Motto "Grau, genormt und günstig" ("SZ"). INGENHOVEN: Ich hoffe, dass unsere Gesellschaft auch in Zukunft den Sinn und die Sinnhaftigkeit für die Einschaltung eines Architekten haben wird. Andernfalls werden sonst wirklich wahllos Siedlungen gebaut, die unabhängig von Architektur entstehen. Architekten sind dann nicht mehr gefragt, wenn Bauträger Häuser von der Stange bauen. Diese negative Entwicklung ist relativ neu. Wir Architekten als Gesamtheit sind deshalb gut beraten, zu kommunizieren, warum wir eine Existenzberechtigung haben. DAS GESPRÄCH FÜHRTE DETLEF FLEISCHER

Interview: Gebäude werden leider wie Tomaten gehandelt
Magazin: Wirtschaftsspiegel
Ausgabe: August 2013
Journalist: Detlef Fleischer, Neuss
Herausgeber: Creditreform Düsseldorf